"Acres Wild waren sowas wie die Popstars von Lahr. Und wir waren halt der Badische Underground." Es gibt Momente als Filmemacher, in denen man sofort weiß: das schafft's definitiv in den Film. Dieser Moment im hauseigenen Proberaum von Klaus Biehler war so einer. Und so viel sei versichert: bei der Premiere von Heart&Soul könnt ihr uns an diesem Blogartikel messen. Wenn dieser Satz noch aus der Endfassung gestrichen wird, dann geben wir jedem Leser ein Bier aus. Hand drauf.
Tatsächlich erlebten wir im Interview mit dem Lahrer Schlagzeuger Klaus Biehler mehrere solche Momente. Klaus ist seit vielen Jahren fester Bestandteil allerhand Bands und Ensembles in der Region und hat daher logischerweise so einiges erlebt. Mit Bands wie "Bail" oder seiner Beatles-Coverband "The Mean Musterds" steht er bis heute auf den Bühnen in und um Lahr und hat es erst kürzlich mit der jüngsten Bail-CD sogar ins Rolling Stone Magazin geschafft. Eine beachtliche Regio-Musik-Karriere also. Doch wenn man ihn auf "seine Ex" anspricht, dann schleicht sich immer noch ein Lächeln in sein Gesicht. So spannend seine derzeitigen Musikprojekte auch sein mögen - eigentlich ist er bis heute Hals über Kopf in "IM AFFEKT" verliebt.
"Wir waren sowas wie der Badische Underground", erzählte er uns im Interview mit einer Mischung aus Ironie und Stolz. "Und wir haben mehr als einmal ganze Konzertwiesen leergespielt", fügte er lachend hinzu. Nicht, weil die Musik schlecht gewesen sei, man habe nur einfach nirgends reingepasst. Aber darum sei es auch nie gegangen. Die Band habe einfach ihr Ding machen wollen. Und das tat sie auch. Mehr oder weniger erfolgreich, wie Klaus heute bilanziert. Immerhin: "Wir waren die erste Band aus Lahr mit einem Plattenvertrag", erzählte er uns. Vermarktungstechnisch genutzt habe das nicht viel, "aber von uns gibt's sogar eine Vinyl!" Klar, dass wir diese Vinyl beim Interview mit ihm im Bild drapierten.
Post-Punk wie aus einer anderen Welt
IM AFFEKT hatte sich 1984 als Schülerband gegründet - damals noch ohne den gerade einmal 12-jährigen Klaus Biehler. Auf einer Kassette hatte der die Gruppe mit Markus Salhab, Michael Hertweck, Oliver Schuppler, Martin Noecken und Dietmar Born als Sänger zum ersten Mal gehört und war direkt begeistert.
Als IM AFFEKT kurze Zeit später einen Ersatz für Schlagzeuger Martin Noecken suchte, war Klaus natürlich sofort zur Stelle. Als 15-Jähriger stieß er zur Band, mit 16 gab er 1987 sein Debüt für IM AFFEKT beim Terrassenbad Open Air in Lahr.
Post-Punk nennt Klaus Biehler die Musik von IM AFFEKT heute. Punkige Gitarre, gemixt mit sphärischen Klängen und dem beeindruckenden Gesang von Dietmar Born, der sich hin und wieder zu hysterischem Kreischen in die Höhe schraubte. Dazu verstörend surrealistische Texte über jegliche Übel der Welt. Dass die stilistische Einordnung von IM AFFEKT auch für Veranstalter schwierig war, beweist ein altes Konzertplakat aus Klaus Biehlers Sammlung. Während bei allen anderen auftretenden Bands auf dem Plakat eine Stilrichtung zu lesen ist, prangt hinter IM AFFEKT einfach der Name des ersten Kassetten-Albums der Gruppe.
Anstelle von "Hard Rock" oder "Funk" wie bei den anderen Ensembles, ist hinter IM AFFEKT als Stil "Wunsch, Indianer zu sein" zu lesen. Für den Außenstehenden irgendwie passend, dass der Stil dieser bewusst Andersartigen somit vom Veranstalter unabsichtlich nach einer Kurzgeschichte von Franz Kafka benannt wurde. Sicherlich, massentauglich war die Musik von IM AFFEKT nicht, aber nichtsdestoweniger beeindruckend. Bei Songs wie "Snake Charmer" oder "Sarcasm" fühlt man sich jedenfalls ein wenig in David Lynchs "Road House" aus der 90er-Serie "Twin Peaks" versetzt. Schade, dass Lynch wohl nie von der Gruppe gehört hat. Wahrscheinlich hätte sie ihm gut gefallen.
Mit Acres Wild im Proberaum
Dass es für die Bandmitglieder von IM AFFEKT so gut wie keine Geschmacksüberschneidungen mit unseren Scaramouche-Musikern gab, liegt auf der Hand. Noch schlimmer muss es aber zwischen IM AFFEKT und der Scaramouche-Vorgängerband Acres Wild gewesen sein. Bevor die Band sich in Scaramouche umbenannt hatte und ihren Stil immer mehr in Richtung Art Rock veränderte, standen die vier Musiker schließlich zu fünft in einer lupenreinen Hardrock-Formation um Frontman Kai Escher auf der Bühne. Mit langen Haaren, Kettchen, modisch zerrissenen Jeans und in glamrockartigen Blusen gekleidet rissen Acres Wild die Bühnen der Ortenau ab - und teilten sich gleichzeitig einen Proberaum mit den Punks von IM AFFEKT.
"Wir konnten die überhaupt nicht ausstehen, die waren uns viel zu kommerziell", erzählte Klaus Biehler lachend im Interview. "Und ständig haben sie irgendwelche Hardrock-Plakate von Bon Jovi oder Deep Purple oder sowas aufgehängt. Wir haben dann Hardcore-Pornos drüber geklebt." Eine Anekdote, die wir unabhängig von ihm bereits von Kai Escher und Gert Endres gehört hatten. Als Journalist freut man sich: Jawoll, die Geschichte hat sich wohl wirklich so zugetragen...
Heute findet Klaus eigentlich nur noch lobende Worte über die einstige "Kommerz-Konkurrenz". An der Qualität der Musiker hatte er ohnehin nie gezweifelt. Und dass er viele Jahre nach den Proberaum-Geschehnissen sogar jahrelang gemeinsam mit Kai Escher in einer Band spielte zeigt, dass der alte Konkurrenzkampf heute keine Rolle mehr spielt. Zumindest nicht im selben Maß wie damals. Denn eines trennt ihn noch immer unumkehrbar von Acres Wild und Scaramouche: "Ich brauche keine Gitarrensoli", erklärte er uns im Interview. Meistens wolle der Gitarrist da doch nur beweisen, wie schnell er spielen könne. "Ich verstehe das nicht, warum man in seinen Liedern Gitarrensoli braucht." Da würden Gert Endres, Frank Vetter, Marc Vetter und Thomas Schwendemann sicherlich lautstark widersprechen. Die musikalischen Differenzen bleiben also doch - auch 30 Jahre später. Genügend Stoff also für unseren Film. Der Drehtag hatte sich auf jeden Fall gelohnt.
IM AFFEKT im Terrassenbad
Dass es IM AFFEKT nie zum großen Durchbruch geschafft haben, grämt Klaus Biehler heute übrigens nicht. Auch wenn er nach dem Interview leicht ironisch hinzufügt: "Natürlich wollte ich Weltruhm für IM AFFEKT!" Doch ganz ohne Ironie - eines hätte er sich mit seiner Band schon erhofft: "Ich habe mir immer gewünscht, dass wir mal Open Air bei Sonnenuntergang irgendwo spielen. Wenn die Sonne gerade so hinter dem Horizont untergegangen ist und es langsam dunkel wird. Das wäre der Musik angemessen gewesen", findet er. "Aber leider haben wir das nie geschafft. Wir mussten immer bei Helligkeit spielen."
Die einzige Videoaufnahme von IM AFFEKT in unserem Archiv stammt aus den 80er Jahren. Es ist das Debüt von Klaus Biehler. Beim mittlerweile legendären "Terrassenbad Open Air" in Lahr trat die Gruppe mal wieder am helllichten Tag auf. Bezeichnenderweise vor den Proberaumgenossen von Acres Wild. Was bei Acres Wild zu einer wilden Party wurde, sah bei IM AFFEKT irgendwie leicht befremdlich aus.
Vor der Bühne hüpfende Kinder in Badehose und gut gelaunte, leicht bekleidete Zuschauer im strahlenden Sonnenlicht. Auf der Bühne IM AFFEKT mit dem 16-jährigen Klaus Biehler am Schlagzeug und Sänger Dietmar Born - ebenfalls ohne T-Shirt - im Vordergrund, der mit den verrücktesten Verrenkungen seinen Post-Punk über die Zuschauer blies und in seinen Texten psychisches Leiden, Folterqualen und andere schwer verdauliche Themen besang. Die Vehemenz, mit der die vier jungen Männer ihre Musik zelebrierten, nötigt einem Respekt ab. Und dennoch, das Video ist eine Ton-Bild-Schere vom Feinsten. Als Zuschauer kommt man nicht umhin: Man wünscht der Band ein bisschen Nebel, eine hinter dem Horizont untergegangene Sonne und langsam aufkommende Dunkelheit. Klaus Biehler hat schon recht: Es wäre der Musik angemessen gewesen.
Mehr zu IM AFFEKT findet ihr auf der Webseite: www.badischer-underground.com
Comments